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Ein Potz!
Mein Name ist Roseanna Plow, und ich habe mich verkehrt herum durch den Geburtskanal geackert. Mein Leben lang hat meine Mutter mich anderen so vorgestellt. Nie hat sie mit Groll von meiner Geburt gesprochen, lediglich voller Verwunderung. Und es verblüfft meine Mutter immer noch, dass ich mich vor gut zweiunddreißig Jahren beim Verlassen ihres Leibes entschieden habe, diese Welt verkehrt herum zu betreten, ohne dabei auf die Unannehmlichkeiten zu achten, die ihr das vielleicht bescheren könnte, ihr, meiner barmherzigen Bäckerin, meiner ersten Gönnerin. Meine Mutter pflegte mich jedes Mal fest an ihre Seite zu drücken, wenn sie wieder einmal fremden Ohren von meiner Ankunft erzählte.
»Sie hat sich verkehrt herum durch den Kanal geackert«, erläuterte sie dann dem verblüfften Zuhörer, und ich spürte, wie sich ihr spitzer Hüftknochen in meine Wange drückte. Ich stellte mir vor, wie ich in einer Art Gondel, die von niemandem gesteuert wurde, auf Long Island zukam, verkehrt herum dahinglitt und in dem engen Kanal überall anstieß. Wenn meine Mutter dann geendet hatte, folgte immer ein Moment des Schweigens, so als erwartete sie von der Schulkrankenschwester, der neuen Nachbarin oder dem Grundschullehrer eine Erklärung dafür, warum ich mich wohl so entschieden haben mochte.
Ja, verkehrt herum, in der falschen Richtung. Das ist die passende Metapher für die vielen Zusammenstöße in meinem Leben – ständig geriet ich mit meiner Mutter aneinander, gerade ging die Beziehung mit meinem Mann Teddy in die Brüche, was meine Mutter natürlich vorhergesehen hatte (»Heirate jemand Vernünftigen«, hatte sie gesagt, als sie mir den marineblauen Hosenanzug zeigte, den sie bei meiner Hochzeit tragen wollte, »dann denke ich darüber nach, ob ich für die Kirche eventuell doch ein Kleid anziehe.«), und während der College-Zeit war es mir sogar gelungen, meinen Vater zu verärgern, indem ich meinen Namen von Pulkowski zu Plow geändert hatte.
Letzte Woche nötigte mein Mann mich, an unserem Küchentisch Platz zu nehmen, und erklärte mir mit ruhiger Stimme, dass er eine andere Frau liebe. Nicht irgendeine andere Frau, sagte er, sondern meine beste Freundin Inga. Und als wolle er sich der Vorhersage meiner Mutter bezüglich seiner Nichtsnutzigkeit würdig erweisen, packte er anschließend eine Tasche und ging.
Heute Abend kommt meine Mutter von der anderen Seite der Stadt zum Essen herüber, mein erster Gast seit Teddys Abgang. Sie kommt allein, mein Vater bleibt bei Schmorbraten und Bier zu Hause. Wahrscheinlich will sie mal wieder ein Gespräch von Frau zu Frau mit mir führen, das kenne ich schon. Auf dem Herd in der kleinen Küche meiner Wohnung köchelt eine leckere Spaghettisoße vor sich hin. Nach einem Rezept meiner Schwiegermutter, was meiner Mutter zweifellos missfallen wird.
Aber egal, ich bin froh über ihre Gesellschaft.
Es ist jetzt exakt acht Tage und drei Stunden her, dass Teddy die kleine Sporttasche von Champion packte – zuletzt hat er noch zärtlich seinen iPod hineingebettet – und unsere Wohnung verlassen hat. Seitdem stelle ich ihn mir in den Armen meiner besten Freundin Inga vor. Wie er in ihrem Bett liegt, in ihrem Schlafzimmer, das ich tausendmal gesehen habe. Die Patchwork-Decke von ihrer Großmutter. Der weiße Lampenschirm aus Korbgeflecht auf dem Nachttischchen. Der dezente Lavendelduft, der aus den Schubladen und dem Wandschrank dringt. Zwischen den Schranktüren hängt ein kleines Holzschild. Ich habe es Inga zu ihrem dreißigsten Geburtstag geschenkt. F wie FREUNDIN, F wie FÜR IMMER, steht darauf. Wenn jetzt abends die Weinflasche mal wieder zur Neige geht, wenn der letzte Schokokeks verdrückt ist und ich mich vollkommen leer geweint habe, dann kommt mir dieses Schild zum Schießen vor. Inga, meine Freundin.
»Ich konnte dieses dürre Ding noch nie leiden«, schimpfte meine Mutter ins Telefon, nachdem sie spitz bekommen hatte, warum Teddy mich abserviert hatte. Ich konnte spüren, wie aufgebracht sie war, wie sie eine Hand tief in die Tasche ihrer braunen Bundfaltenhose schob und mit der anderen den Hörer umklammerte. »So eine müsste man abknallen«, sagte sie. So grob kann meine Mutter sein, eine richtige Gangsterbraut. Ich fragte mich, was mein Vater wohl dachte, als sie das von sich gab.
Nachdem ich mich all der vielen Buchstaben in meinem Nachnamen entledigt hatte, sprach mein Vater lange Zeit kein Wort mehr mit mir. Dieses Problem hatte meine Mutter nicht.
»Plow heißt Pflug!«, schnaubte sie, als ich den neuen Namen zum ersten Mal ins Flurtelefon im Wohnheim hauchte. »Warum nicht gleich Dampfwalze statt Pflug, so wie du das Herz deines Vaters platt rollst?«
»Ma«, flehte ich, doch durch die Leitung drang nur kaltes Schweigen.
Ich konnte ihre Gedanken lesen. Verkehrt herum, dachte sie. Immer verkehrt herum.
Sie nimmt nie ein Blatt vor den Mund, meine Mutter. Sie ist knallhart, trotz ihres zierlichen Körperbaus und ihrer kindlichen Gesichtszüge. Eine Art Donna Reed auf Drogen, eine Shirley Partridge hoch zwei. Sie war zweiundvierzig, als ich geboren wurde. Jetzt ist sie vierundsiebzig und raucht immer noch.
Während meine Freunde nette Siebziger- und Achtzigerjahre-Kindheiten durchlebten, wuchs ich in einem Albtraum im Stil der Fünfziger auf, mit Thunfischkonserven und Wackelpeter, in dem Brocken wabbelten, und mit einer Mutter, die zu glauben schien, dass Miracel Whip von Kraft einfach zu allem passte. Wenn man meiner Tante Sophie glauben durfte, hatte meine Mutter damals in den Fünfzigern den Männern die Türen aufgehalten. Schwere Glastüren in Banken, Portale von Eingangshallen, Bahnhofstüren. Sie riss diese Türen stürmisch mit einem ihrer dünnen Ärmchen auf, fixierte dabei die kräftigen Herren in ihren Anzügen mit den breiten Aufschlägen und bedeutete ihnen mit dem Anflug eines Lächelns, hindurchzugehen. »Nun machen Sie schon«, pflegte sie zu sagen, und sie machten auch. Anschließend spürten sie die Blicke meiner Mutter im Rücken, während sie vor ihr hergingen.
Da geht es uns allen recht ähnlich.
Nachdem ich meinen Nachnamen in Plow abgeändert hatte, hörte meine Mutter auf, mir Care-Pakete zu schicken. Keine selbst gebackenen Plätzchen oder Teebeutel von Tetley mehr. Keine Cracker mit orangem Schmelzkäse mehr, der spritzte wie Rasierschaum aus der Dose. Sie war entrüstet, als vom College ein Brief kam, in dem stand, dass Roseanna Plow es unter die Jahrgangsbesten geschafft hatte. Meine gute Abschlussnote bedeutete ihr nichts, sie bemerkte nur die fehlenden Vokale und Konsonanten. Als ich das nächste Mal nach Hause kam, sah ich, dass mein Abschlusszeugnis über der Werkbank meines Vaters hing. Jemand hatte meinem abgekürzten Namen sorgfältig das fehlende u, das k und das ski hinzugefügt.
Das konnte nur meine Mutter gewesen sein. Damals war ich achtzehn und leicht pummelig. Ich stand in der Garage und erkannte, dass ich in ihren Augen vollkommen missraten war, dass sie mich zu dem hatte machen wollen, was sie nie war – gebildet und doch unterwürfig. Was für ein verwirrender Widerspruch, wenn man bedachte, wie ich von dieser starken, stolzen Frau großgezogen worden war, einer Frau, mit der sich die Männer nicht anlegten, nicht mal damals in den Fünfzigern.
Meine Mutter nennt meinen Vater immer nur Pulkowski, etwa: »Mach mir mal ein Bier auf, Pulkowski«, oder: »Komm mal her und gib mir Feuer, Pulkowski« oder: »Pulkowski! Bring das Kind ins Bett und schau dir mit mir das Spiel an«. Nie hatte sie etwas von einem Prinzesschen an sich, nie.
Wäre ich doch in diesem schrecklichen letzten Ehejahr ein bisschen mehr wie sie gewesen, als Teddys Rücken unser Bett wie eine Wand aus kaltem Marmor teilte.
Selbst wenn meine Eltern sich für eine Party in Schale warfen, für die meine Mutter uns alle mit ihrem Parfüm einnebelte und ihr weites, langes Tanzkleid, ihre Perlenkette und den roten Lippenstift trug, selbst dann noch zwinkerte sie meinem Vater in seinem besten Anzug zu und sagte: »Feiner Zwirn, Pulkowski. Und jetzt hilf mir mal mit dem verfluchten Reißverschluss.« Hätte ich doch Teddy nur mit dem gleichen Selbstbewusstsein herumkommandieren können! Nimm mich in die Arme, Stracuzza! Küss mich, verflucht noch mal!
Die Art und Weise, wie meine Mutter mit meinem Vater spricht, schockiert mich immer noch und macht mich eifersüchtig. Seine Reaktion darauf ist der eigentliche Grund, warum ich meinen Nachnamen von Pulkowski zu Plow kürzte. Als ich zu Hause auszog und dann meinen Namen aus dem Mund anderer hörte, kam ich mir vor, als wäre ich mein Vater, der von Helen Pulkowski herumgescheucht wurde. Kaum hörte ich jemanden »Pulkowski« sagen, sah ich meine Mutter vor mir, eine Zigarette zwischen den schmalen roten Lippen, wie sie ihrem Mann verführerisch zublinzelte. Kein Artikel in der Cosmopolitan hat sich jemals auch nur ansatzweise mit dieser Art von Verführungskunst auseinandergesetzt.
Während ich gegen zehn vor sieben gerade die Soße abschmecke, höre ich meine Mutter kommen. Zuerst wird meine unverschlossene Tür geöffnet, es folgt das leise Geräusch, als sie ihre Jacke über die Rückenlehne des Sofas wirft. Sie ist früh dran, wie immer, wenn sie einen Anlass für wichtig genug hält. Sie seufzt, räuspert sich und begrüßt mich endlich.
»Guten Abend, Madame Butterfly.«
»Ich bin in der Küche«, rufe ich aus meiner dampfigen kleinen Ecke, doch die Schritte meiner Mutter entfernen sich, statt näher zu kommen. Sie geht zum Schlafzimmer. Sie wird ein bisschen darin herumschnüffeln, ein paar Türen aufziehen, vielleicht noch den Arzneischrank durchforsten – und nach Zeichen der Bestätigung für Teddys Verschwinden Ausschau halten.
Nur zu bald steht sie neben mir, die dünnen Handgelenke verschränkt, in der einen Hand eine Zigarette. Sie trägt eine gestärkte Bluse und eine blaue Polyesterhose. Auf der Suche nach Spuren des Leidens sieht sie mich prüfend an.
»Hi, Ma«, sage ich und sehe von der Soße auf. Sie nickt knapp, wie eine Verkäuferin. Ich sehe ihr an, wie aufgewühlt sie ist. Wehe, wenn dieser miese Kerl ihrer Kleinen ein Leid zugefügt hat. Dann wird sie ihn sich vorknöpfen. Der Löffel kreist und kreist in der Soße, und mein Handgelenk bewegt sich, als würde ich ein Boot rudern.
»Was ist denn? Bist du nervös?«, sagt sie. »Lass mich mal, bevor du noch ein Loch in den Topfboden kratzt.«
Sie klemmt sich die Zigarette in den Mundwinkel, bevor sie mir den hölzernen Kochlöffel aus der Hand nimmt.
»Mach mal Platz«, sagt sie und schiebt mich mit der Hüfte vom Herd weg. Ihre Salem Light wackelt über unserem Abendessen.
»Ma, die Asche …«, warne ich sie.
»Ja, ja, die Asche.« Sie starrt in die Soße. »Eines will ich dir mal sagen, Miss Asche. Es ist keine Schande, von einem Ehemann verlassen zu werden, der schon immer ein Nudnik, ein Nichtsnutz und Langweiler war.«
»Ma!«, rufe ich und nehme ihr den Löffel wieder ab. Wir können nur miteinander reden, wenn wir rühren. »Du hast ihm von Anfang an keine Chance gegeben«, sage ich zur Soße.
Meine Mutter schnaubt verächtlich und breitet die ausgestreckten Hände vor sich aus. »Teddy ist ein Potz«, erklärt sie gelassen. »Und jetzt hat er dich verlassen. Das ist alles.«
Ich umklammere den Löffel so fest, dass meine Knöchel knacken. Etwas an meiner Jiddisch sprechenden, katholischen Mutter, für die mein Mann ein Potz ist, erinnert mich an früher. Als ich noch ein Kind war, pflegte sie mich jedes Jahr in den Plymouth Kombi zu laden und zum Fotostudio der Gebrüder Bascome zu kutschieren, um mich dort ablichten zu lassen. Mr Bascome platzierte mich auf einem Teppichwulst in Beige und zog dann hinter mir mit Bildern bedruckte Rollos herunter. Saß ich zuerst zwischen den Ästen eines blühenden Kirschbaums, waren es – wieder ein Rollo – im nächsten Moment ein Weihnachtsbaum und ein Kamin. Ein letztes Rollo und ich schwebte in strahlendem Blau, als wäre ich gestorben und Mr Bascome fotografierte mich nun oben im Himmel. Ich bekam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn sein behaartes Handgelenk über mich hinweggriff und meine Welt austauschte. Genau das tat auch meine Mutter mit ihren knappen, schneidenden Bemerkungen, mit denen sie mein Leben gemäß ihrer eigenwilligen Ansichten beurteilte.
»Ma«, sage ich und rühre immer noch wie wild, sodass die Soße aus dem Topf und bis auf die Regale spritzt. »Du hast nicht die geringste Ahnung.«
»Eins weiß ich«, sagt sie, schnappt sich den Löffel und deutet auf eine imaginäre Tafel über uns. »Nicht mal Oprah Winfrey verschwendet noch eine Sendung an das Thema ›Mein Mann hat mich wegen meiner besten Freundin verlassen‹. Wie vorhersehbar! Wie uninteressant! Das ist« – jetzt deutet meine Mutter mit dem Löffel auf mich – »einfach unter deiner Würde, Rosie! Du warst auf dem College! Du warst unter den Jahrgangsbesten!« Die Soße tropft auf meinen weißen Kachelboden und sieht dort aus wie echtes Blut. »Deine Probleme sollten mehr Niveau haben als dieser Potz, der dich wegen einer unechten Blondine verlässt.«
»Ma! Leg den Löffel weg!«, kreische ich und entwinde ihr das Corpus Delicti mit einer Technik, die ich für meine Arbeit mit den Autisten gelernt habe. Ich atme tief durch und versuche, Ruhe in das Ganze zu bringen. »Nicht alles im Leben dreht sich ums Fernsehen!«, rufe ich. »Es tut mir leid, dass meine Probleme nicht zeitgemäßer sind, aber ist dir schon mal die Idee gekommen, dass diese Trennung vielleicht nur vorübergehend sein könnte?«
»Ich bitte dich!«, schnaubt meine Mutter, und eine Wolke aus Rauch – oder Dampf – kommt aus ihrem Mund.
»Ma!«, kreische ich erneut und wedele mit dem tropfenden Löffel wie mit einem Taktstock. »Ich will damit sagen, dass du einfach nicht genug Einblick hast! Du kannst doch Teddy nicht einen Potz nennen, wenn du so wenig Bescheid weißt! Er ist mein Mann. Das ist meine Ehe. Ich entscheide, wer hier der Potz ist. Ich entscheide es!«
Ich lege den Löffel weg, greife in den Schrank über dem Herd und nehme die Teller heraus. Meine Mutter ist erstaunlich still. Als ich gerade mit der Salatschüssel beschäftigt bin, spüre ich ihre Finger, die leicht in meine Taille kneifen. »Hm«, murmelt sie, »die meisten Frauen nehmen ab, wenn ihre Männer sich aus dem Staub machen.«
»Ma!« Ich fahre herum und knalle die Schüssel viel zu heftig auf die Arbeitsplatte.
»He«, sagt sie. »He, he, he.« Freundlich tätschelt sie mir die Wange. »Sind ja nur ein paar Pfunde.« Sie nimmt eine dicke Strähne meiner langen Haare zwischen die Finger.
»Du bist so ein hübsches Mädchen, Rosie«, säuselt sie.
»Sieh dich nur mal an, dieses wunderbare kastanienbraune Haar, das hast du von deinem Vater.« Sie schnippt ihre Zigarette in meine Spüle. Ich mache einen Schritt zurück und sehe sie so kühl wie möglich an.
»Ich kann es einfach nicht glauben, dass du mein Leben beurteilst, als wäre es eine Talkshow.«
»So schlimm wie bei Jerry Springer geht es ja nicht zu, so viel ist sicher. Schließlich hast du nie auf den Kerl eingedroschen. Was ich nur zu gern getan hätte, ungefähr hundert Mal …«
»Es reicht!«, verkünde ich und lasse kaltes Wasser über ihre Kippe laufen. »Wir essen jetzt.«
Etwas an meiner Ankündigung bringt sie zum Schweigen. »Soll ich die Salatteller hinstellen?«, fragt meine Mutter unschuldig.
Wir verzehren die Spaghettisoße meiner Schwiegermutter wortlos. Nachdem sich meine Mutter nach dem Essen auf den zehneinhalb Meilen langen Rückweg nach Commack gemacht hat – über den Veterans Highway, und dann noch ein kurzes Stück über die Autobahn –, sitze ich am Tisch und starre den Salzstreuer an. Meine Mutter hat natürlich recht. Teddy ist ein Potz. Aber er ist der Potz, den ich geheiratet habe, vor viereinhalb Jahren. Und die Ehe ist heilig. Sogar meine Mutter ist dieser Meinung. Ich gehe zum Kühlschrank und entkorke eine halb volle Flasche Pinot Noir. Was soll denn daran verkehrt sein, zu versuchen, sich mit seinem eigenen Mann wieder zusammenzuraufen? Ich schenke mir einen Schlummertrunk ein und klaube dann die Packung mit Schokokeksen aus dem Küchenschrank. Ausgerechnet Helen Pulkowski sollte doch das Ehegelübde zu würdigen wissen.
Ich kratze gerade die Soßenspritzer vom Regal, als mir auffällt, dass die Weinflasche leer ist. Ich schließe die Tür zweimal ab und richte mich auf dem Sofa ein. Ich schüttele die Kissen auf, bevor ich ohne Schuhe und mit angezogenen Beinen in die Ecke rutsche, wie eine Katze beim Sonnenbad. Ich summe ein bisschen – wie immer, wenn ich angesäuselt bin. Ich greife nach dem Telefonhörer: Er ist weiß, leicht und hat die Form eines Seifenstücks. Ich atme tief ein, dann wieder aus und tippe die Nummer ein. Elf fröhliche Töne. Es klingelt einmal, zweimal, und als ich höre, dass jemand drangeht, bin ich kurz davor, aufzulegen. Ich tue es dann aber doch nicht. Warum sollte ich? Wer sollte mich denn verletzen wollen? Meine beste Freundin? Mein Mann? Sicher nicht. Eine Sekunde später höre ich die Stimme einer Frau.
»Hallo?«
Inga. Ich erkenne sie an ihrer leicht weinerlichen Stimme, die sich anhört wie Popeyes Olivia und über die Teddy und ich immer lachen mussten. Oh! Popeye!, flüsterten wir immer hinter Ingas Rücken, um abrupt abzubrechen, sobald sie sich umdrehte. Ich höre mich kichern.
»Hi. Ich bin’s, Roseanna«, sage ich und versuche, mich zu beherrschen.
Am anderen Ende herrscht Schweigen.
»Roseanna Plow«, sage ich.
Jetzt seufzt Inga leise.
»Früher Pulkowski«, fahre ich fort. »Verheiratete Mrs Stracuzza«, zische ich. »Ist zufällig noch ein Stracuzza in der Nähe, mit dem ich mal reden könnte?« Ich lache fröhlich, als wäre all das ein guter Witz. Ich tue das für Inga, ein letztes kleines Geschenk an sie.
»Roseanna«, sagt sie, »es ist zehn Uhr.«
»Danke«, erwidere ich, »dass du mich auf den neuesten Stand bringst.«
»Roseanna«, sagt sie, »es ist schon spät.«
Ich umklammere den Hörer, als wolle ich sie erwürgen.
»Hol ihn.«
In der Leitung poltert es, als würde der Hörer weggeworfen. Ich reibe mir den Arm wie man es tut, wenn man einen blauen Fleck hat. Jemand hat den Hörer mit der Hand abgedeckt, damit sie über mich reden können, ohne dass ich es mitkriege. Genau wie bei meinem letzten Anruf. So behandeln sie mich. Warum also rufe ich wieder an? Unter welchem Vorwand, meine ich. Ich weiß, dass ich anrufe, weil meine Mutter mir suggeriert hat, dass Teddy ein Potz ist, und weil ich diese Vorstellung unbedingt loswerden will. Aber wie kann ein Anruf mir dabei helfen? Teddy ist ein Potz. Ich patsche mir mit der freien Hand auf die Wange. Konzentrier dich! Welchen vorgetäuschten Grund habe ich für diesen Anruf? Gerade fällt es mir wieder ein, da nimmt Teddy auch schon den Hörer auf.
»Ja?«, sagt er und klingt dabei so förmlich, dass ich hastig an mir herunterschiele, ob ich auch vollständig angezogen bin. »Es ist zehn Uhr«, fährt er fort.
»Darauf hat deine Tussi mich bereits hingewiesen.«
Aus den kleinen Löchern des Hörers schlägt mir Kälte entgegen. Ich drücke eins von den malvenfarbenen Kissen an mich und unternehme einen neuen Anlauf.
»Ich wollte nur anrufen, um dir zu sagen, dass unsere Visa-Abrechnung gekommen ist.« (Wie ich es liebe, das Wort »unser« zu benutzen, wenn ich weiß, dass sie neben ihm steht und vielleicht ein Ohr an den Hörer presst, um zu lauschen, sodass ihre Wange seine berührt.) Ich fahre fort: »Erinnerst du dich an die Bettwäsche, die wir letzten Monat bei Macys für unser Bett gekauft haben?«
»Die du gekauft hast«, korrigiert er mich.
»Für unser Bett«, beharre ich.
»Roseanna«, seufzt er, »es wäre besser, wenn du deine Kreditkartenabrechnungen von jetzt an selber zahlst. Weil ich dir nämlich sagen muss, dass ich all diese Konten kündigen werde. Visa, American Express, Discover … Eine fehlt noch, oder?« Er schweigt kurz. »Genau. Die First Bank Master-Card.«
»Du willst sie kündigen?«, sage ich. »Was soll das denn heißen? Das kannst du doch nicht machen …«
»Das sind meine Konten, Roseanna. Leg dir selbst eine Kreditkarte zu. Du hast doch ein eigenes Einkommen.«
Damit spielt er auf meine Arbeit als Berufsberaterin für Menschen mit geistiger Behinderung und anderen Beeinträchtigungen an. Das überrascht mich. Früher hat er meinen Verdienst nie als ernst zu nehmendes Einkommen betrachtet, ganz zu schweigen von dem, was ich mache. Blödis beraten hat er es mal während eines schrecklichen Streits genannt. Aber das Geld ist regelmäßig auf unserem Konto eingetroffen, und Teddy hat keinen Cent davon verschmäht. Und die Kosten für die Karten haben wir immer aufgeteilt, alle liefen auf seinen Namen, wurden aber zur Hälfte von mir bezahlt.
»Teddy«, sage ich. »Jetzt sei doch vernünftig.« Mein Herz krampft sich zusammen. »Wir sind verheiratet«, sage ich. »Es gibt Dinge, die gehören uns gemeinsam. Bankkonten. Autos. Bettwäsche.« Ich zähle die Aspekte unserer Ehe auf, als wäre es eine Einkaufsliste. »Gut, ich weiß ja, Inga und du, ihr habt da gerade … etwas … am Laufen, aber deshalb können wir doch nicht einfach von einem Moment auf den anderen unser Leben auseinanderdividieren. Wir müssen miteinander reden …«
Ich höre, was ich gerade gesagt habe, und es lässt mich erst einmal verstummen. Selbst meinem alkoholvernebelten Hirn fällt auf, wie lächerlich ich klinge. Da rufe ich tatsächlich im Suff den Mann an, der mich wegen meiner besten Freundin verlassen hat. Ich setze mich auf, wild entschlossen, dieses Telefonat sofort zu beenden.
»Roseanna«, kommt Teddy mir zuvor. »Ich glaube, es gibt da etwas, das du wissen solltest. Inga und ich werden uns ein Haus kaufen.«
Vor meinen Augen tanzen kleine Blitzlichter. Ein Haus? Ist er völlig verrückt geworden? Er hat bereits ein Haus, ich sitze zufällig gerade darin. Hier ist unser Haus, oder wenigstens unsere Wohnung. Und zwar die, aus der wir ausziehen, wenn wir unser eigenes Haus kaufen, wenn Teddy Teilhaber einer Anwaltskanzlei geworden ist und ich schwanger bin. Das hat er mir versprochen. Er hat’s versprochen.
»Ein Haus?«, brülle ich. »Du kannst nicht mit Inga ein Haus kaufen! Du lebst nämlich hier, in dieser Wohnung. Du hast eine Frau …«
»Roseanna«, sagt er mit Nachdruck. »Ich rede erst wieder mit dir, wenn du dich normal benimmst.«
Klick! macht es und ich brülle: »Verdammt und zugenäht, Stracuzza!« Ich brülle so laut, dass es mir vorkommt, als würde ich jede Faser meines Teppichs erzittern sehen. Er aber hört mich nicht; er hat aufgelegt. Ein echter Potz eben.